Warum der Täbinger Dorfschmied sehr angesehen war – Abrechnungsbuch erzählt von Handwerkskunst
Abrechnungsbuch vom Täbinger Dorfschmied
Die historische Aufnahme von 1908 zeigt Friedrich Jakob Rauscher (Zweiter von links) mit seinen beiden Enkeln Karl jun. (Erster von links) und Friedrich jun. (Zweiter von links). Im Vordergrund sein Sohn Karl Rauscher und seine Frau Christine Rauscher, eine geborene Huonker.
Die fortschreitende Digitalisierung lässt uns immer mehr das Interesse an Büchern verlieren. Dabei sind längst nicht alle Inhalte von Büchern digitalisiert und online für jedermann abrufbar. Es gibt immer noch Exemplare, die geben ihre Geschichten erst preis, wenn man sie aufschlägt und darin liest. Die folgende Geschichte, die ihren Ursprung in Täbingen hat, erzählt von einem solch seltenen Exemplar. Es ist das Abrechnungsbuch des früheren Dorfschmieds Friedrich Jakob Rauscher.
Friedrich Reder aus Herrenberg hat das historische Buch jüngst an den stellvertretenden Täbinger Ortsvorsteher Dieter Völkle übergeben. Friedrich Reder ist ein Urenkel des früheren Täbinger Dorfschmiedes Friedrich Jakob Rauscher, der von 1843 bis 1932 gelebt hat.
Aufschriebe in Kurrentschrift
Bei dem Buch handelt es sich um das Abrechnungsbuch seines Urgroßvaters, der in diesem Buch alle Einnahmen und Ausgaben seiner Täbinger Dorfschmiede von 1888 bis 1900 fein säuberlich in der alten deutschen Kurrentschrift niedergeschrieben hat. Das Buch stammt aus dem Familienbesitz und wurde von Friedrich Reder für das Gemeindearchiv Rosenfeld gespendet, dass es für die kommenden Generationen erhalten bleibt.
Ein Dorfschmied war mehr als nur ein Schmied
Das Buch erzählt die Geschichte über ein fast vergessenes Handwerk, das einst zu den wichtigsten in den ländlichen Gebieten zählte. Es ist ein Beweis dafür, dass ein Dorfschmied weit mehr für die Bevölkerung war, als jemand der ihre Pferde mit Hufeisen beschlug. Ein Dorfschmied war handwerklicher ein Alleskönner. Er konnte so ziemlich alles aus Metall herstellen und vor allem auch alles reparieren. Wenn der Dorfschmied etwas nicht mehr reparieren konnte, dann war es wirklich kaputt. Aus diesem Grund hatte er ein hohes Ansehen im Ort.
So finden sich in dem Abrechnungsbuch neben zahlreichen Belegen für Hufbeschläge von Pferden und anderen Zugtieren auch viele andere Rechnungen, wie zum Beispiel für das Dengeln einer Sense, die Reparatur von Schlössern bis hin zu dem Anfertigen und der Reparatur von neuen Ofentüren.
Auch ein verbogener Schlüssel wurde am 6. März 1898 vom Dorfschmied für 20 Pfennige wieder gerichtet und in das Schloss eingepasst. Warum der Schlüssel allerdings verbogen war, verrät das Buch seinem Leser leider nicht.
Ehemalige Täbinger Namen kommen vor
Neben Einträgen mit alteingesessenen und immer noch gängigen Täbinger Nachnamen wie Fischer, Göhring, Huonker, Märklin, Seemann, Sautter, Schatz, Schwarz, Stotz, Trick, Völkle oder Wille erinnern Rechnungen an Gustav Bossert, Christian Hessler oder Leonard Schweizer an ehemalige Täbinger Familiennamen, die heute in Täbingen nicht mehr anzutreffen sind.
Waldhof war Maierei Waldhof
Und die Staatsdomäne Waldhof bei Geislingen, die nach ruhigen Jahren aktuell für Schlagzeilen sorgt, weil dort ein Absprunggelände für das Kommando Spezialkräfte entstehen soll, war früher keine Staatsdomäne, sondern die „Maierei Waldhof“ und auch ein Kunde des Täbinger Schmiedes.
Kunden kommen von weit her
Nicht nur die äußerst feine und filigrane Handschrift von Friedrich Jakob Rauscher sind ein Anzeichen dafür, dass er mit seinen Händen äußerst präzise arbeiten konnte. Auch der weitläufige Kundenkreis des Schmiedes, der sich von der näheren Umgebung Täbingens bis hin zu größeren Städten von Villingen (Baden), Pfullingen bis Heilbronn erstreckte, zeigt, dass die Menschen die Qualität der Dorfschmiede Rauscher so schätzten, dass sie bereit waren teils lange Wege für ihre Anliegen in Kauf zu nehmen.
Eine Rechnung an August Marent aus Tirol belegt außerdem, dass in der damaligen Zeit auch im ländlichen Raum durchaus Kontakte ins Ausland bestanden, denn die „Gefürstete Grafschaft Tirol“ war zu der Zeit Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie.
Schmied bezieht Salpeter
In dem Abrechnungsbuch finden sich neben den Einnahmen auch die Ausgaben der Täbinger Dorfschmiede. So war Friedrich Jakob Rauscher ein Kunde des Reutlinger Guano-Fabrikanten Rudolf Yelin. Laut den Einträgen hat der Täbinger dort regelmäßig größere Mengen Salpeter gekauft. Salpeter ist ein Brandbeschleuniger und wurde von Friedrich Jakob Rauscher vermutlich verwendet, um die Temperatur seines Schmiedefeuers auf die erforderlichen 1200 Grad Celsius zu bringen, die notwendig waren, um Stahl formbar zu machen.
Einblicke in den Arbeitsalltag
Dieses Buch ist also nicht nur ein altes, leicht vergilbtes Abrechnungsbuch, in dem ein paar Rechnungen aufgeschrieben sind. Dieses Buch gibt einen Einblick in den Arbeitsalltag eines Schmieds im 19. Jahrhundert und erzählt der Nachwelt, vor allem aber den Täbingern, die Geschichte einer alten Handwerkskunst, die von existenzieller Bedeutung für die Landbevölkerung war und ein sehr hohes Ansehen genoss.
Ein Schmied und sein Mythos
Ein Schmied galt als mächtig stark und muskulös. In vielen Sagen und Geschichten schrieb man dem Schmied sogar übersinnliche Kräfte zu. Diesen Eindruck bestärkt auch der Täbinger Schmid auf der alten Fotografie von 1908, als er im Winter mit hochgekrempelten Ärmeln schützend vor seiner Familie und der Täbinger Dorfschmiede steht, als könne ihm nichts und niemand was anhaben.
Das Buch liegt derzeit noch in der Ortschaftsverwaltung bei Ortsvorsteher Daniel Jäschke und soll demnächst seine endgültige Heimat im Rosenfelder Stadtarchiv finden.
Ortsvorsteher Daniel Jäschke (von rechts), sein Stellvertreter Dieter Völkle und Ortschaftsrat Michael Göhring freuen sich über das Abrechnungsbuch, das nun der Nachwelt erhalten bleibt. Sie stehen vor dem Haus, das früher die Dorfschmiede war.
Quelle: Pressetext ZAK vom So 07.04.2024
Verfasser: Michael Göhring
mehr Informationen unter: https://www.zak.de/Nach...dwerkskunst-160938.html